Kleine Auswahl von Gedichten und Texten Erich Mühsams A-H I-P Q-Z (Wird laufend ergänzt.) © Erich Mühsam Gesellschaft Lübeck ![]() TitelverzeichnisAn dem kleinen Himmel meiner Liebe Appell an den Geist Bürgers Alpdruck Der Gefangene Der Mahner Der Revoluzzer Dichter und Kämpfer Die Pfeife Die Pflicht Du gingst mit mir ... Du hast mich fortgeschickt... Elegie im Kriege Es stand ein Mann am Siegestor Erziehung Ewiges Diesseits Folg mir in mein Domizil Freiheit in Ketten Frühlingserwachen Gesang der jungen Anarchisten Geschonte Kraft Geschichte Golgatha Heilige Nacht Herbstmorgen im Kerker Hinter den Häusern heult ein Hund An dem kleinen Himmel meiner LiebeAn dem kleinen Himmel meiner Liebe will mich dünkt ein neuer Stern erscheinen. Werden nun die andern Sterne weinen an dem kleinen Himmel meiner Liebe? Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller! Strahlend steht am Himmel, unverrücklich eures jeden Glanz und macht mich glücklich. Freut euch, meine Sterne, leuchtet heller! Kommt ein neuer Stern in eure Mitte, sollt ihr ihn das rechte Leuchten lehren. Junge Glut wird euer Licht vermehren, kommt ein neuer Stern in eure Mitte. An dem kleinen Himmel meiner Liebe ist ein Funkeln, Glitzern, Leuchten, Sprühen. Denn ein neuer Stern beginnt zu glühen an dem kleinen Himmel meiner Liebe.
![]() Folg mir in mein DomizilFolg mir in mein Domizil, liebes Kind, und frag nicht viel. Wirst schon alles lernen, wirst schon alles sehn, liest nicht in den Sternen, was dir heut noch alles kann für Heil geschehn. Stehst herum in Nacht und Wind. Komm! Bei mir ist's warm, mein Kind. Geb dir einen Taler, koch dir ein Glas Tee. Einen Emmentaler essen wir selbander auf dem Kanapee. Bleibst bei mir bis früh am Tag. Geht dann jeder, wo er mag. Ich zum Redaktöre, du, wohin dich's treib. Morgen küßt, ich schwöre, dich mein guter Nachbar, mich des Nachbars Weib.
![]() FrühlingserwachenWieder hat sich die Natur verjüngt, wieder sich mit frischem Stoff gedüngt, und dem Moder wie den jungen Keimen hat die Kunst zu malen und zu reimen. Die Gebeine harren der Bestattung, währenddem die Früchte der Begattung fröhlich ins Bereich des Lebens ziehn insoferne sie soweit gediehn. Viech- und Menschern heben sich die Büsen; in den Bäumen quillt's und den Gemüsen. Tief im Kern der Erde hat's gekracht: Ja, der Früh-, der Frühling ist erwacht.
![]() Du gingst mit mir ...Du gingst mit mir. Der niedre Himmel drohte und kroch geduckt von allen Seiten näher. Am Wege lag ein Felsenhund, ein Späher mit plattem Bauch und vorgeschobener Pfote. Entglänzte Sterne stierten feucht und faul und husteten aus alterssiecher Lunge. Krankleuchtend aus zerfetztem Wolkenmaul hing gelb der Mond, des Himmels geile Zunge.. . Du gingst mit mir. Fern gurgelte das Meer. Dem Saum der Welt entglitten Feuerzeichen. Wir fühlten feucht die Nachtluft uns umschleichen und stapften vor der Angst des Lebens her, auf unsern letzten Daseinsmut bedacht, daß er das bleiche Graun des Spuks besiegte. Doch vor uns düsterte ein Baum zur Nacht, der sehr bedenklich seine Wipfel wiegte.
![]() Du hast mich fortgeschickt...Du hast mich fortgeschickt, und ich geh heim. Die Gaslaternen blinzeln frech und schielen. Im Rinnstein drängt sich dicker Straßenschleim. Zufrieden tropfend gluckst es in den Sielen. In einem Seitenweg verhallt ein Schritt, leicht und beschwingt, als käm er vom Genießen. Studenten torkeln mir vorbei zu dritt, die Zeitungsblätter auf die Stöcke spießen. Ich tu mir leid. Mein Schmerz stimmt mich vergnügt, heißt mich auf alle Ärgernisse achten, ob gegen dich sich draus ein Vorwurf fügt und die, die im Kaffeehaus mit dir lachten. Wart! Morgen sprechen wir uns schon dafür. Mein Ingrimm wird sich zu entladen wissen. Da bin ich öffne zögernd deine Tür und küsse weinend deine leeren Kissen.
![]() Hinter den Häusern heult ein HundHinter den Häusern heult ein Hund. Denn die Schatten der Nacht sind bleich und lang; und des Meeres Herz ist vom Weinen wund; und der Mond wühlt lüstern im Tang. Durch Morgennebel streicht hastig ein Boot, die Segel schwarz, wie vom Tod geküßt. Die Flut faucht salzig näher und droht... Bang knarrt der Seele morsches Gerüst.
![]() Es stand ein Mann am SiegestorEs stand ein Mann am Siegestor, der an ein Weib sein Herz verlor. Schaut sich nach ihr die Augen aus, in Händen einen Blumenstrauß. Zwar ist dies nichts Besunderes. Ich aber ich bewunder es.
![]() ErziehungDer Vater zu dem Sohne spricht: Zum Herz- und Seelengleichgewicht, zur inneren Zufriedenheit und äußeren Behaglichkeit und zur geregelten Verdauung bedarf es einer Weltanschauung. Mein Sohn, du bist nun alt genug. Das Leben macht den Menschen klug, die Klugheit macht den Menschen reich, der Reichtum macht uns Herrschern gleich, und herrschen juckt uns in den Knöcheln vom Kindesbein bis zum Verröcheln. Und sprichst du: Vater, es ist schwer. Wo nehm ich Geld und Reichtum her? So merk: Sei deines Nächsten Gast! Pump von ihm, was du nötig hast. Sei's selbst sein letzter Kerzenstumpen besinn dich nicht, auch den zu pumpen. Vom Pumpen lebt die ganze Welt. Glück ist und Ruhm auf Pump gestellt. Der Reiche pumpt den Armen aus, vom Armen pumpt auch noch die Laus, und drängst du dich nicht früh zur Krippe, das Fell zieht man dir vom Gerippe. Drum pump, mein Sohn, und pumpe dreist! Pump anderer Ehr, pump anderer Geist. Was andere schufen, nenne dein! Was andere haben, steck dir ein! Greif zu, greif zu! Gott wird's dir lohnen. Hoch wirst du ob der Menschheit thronen!
![]() Heilige NachtGeboren ward zu Bethlehem ein Kindlein aus dem Stamme Sem. Und ist es auch schon lange her, seit's in der Krippe lag, so freun sich doch die Menschen sehr bis auf den heutigen Tag. Minister und Agrarier, Bourgeois und Proletarier es feiert jeder Arier zu gleicher Zeit und überall die Christgeburt im Rindviehstall. (Das Volk allein, dem es geschah, das feiert lieber Chanukah.)
![]() Ewiges DiesseitsLöscht die Lichter aus auf den Altären! Nicht in Kirchen und in Synagogen sucht den Gott, noch hinter Himmelsschleiern. Wo der Perlschaum quirlt auf Meereswogen, wo der Wind kämmt über blonden Ähren und im Bergschnee mögt ihr Andacht feiern. Besser noch: am eignen Feuerherde, in der Einung mit dem nackten Weibe laßt euch heilige Weihe überkommen. Wenn die Seele eins wird mit dem Leibe und die Stunde zeitlos auf der Erde, dann erzeugt ihr Gott in euch, ihr Frommen! Alles keimt zugleich und blüht und schwindet. Wenn ihr Wein trinkt, sollt ihr schon die Reben für die neue Ernte reifen wissen. Diesseits, irdisch ist das ewige Leben! Was den Menschen an die Menschheit bindet, wird von keinem Tode je zerrissen.
![]() GolgathaGebeugte Menschen mit stumpfem Blick hocken in dumpfen Spelunken den Neid im Auge, die Not im Genick, von elendem Fusel trunken. Da tönt eine Stimme von außen herein: "Kopf hoch! Ihr seid nicht verloren. Ich füll eure Becher mit goldenem Wein. Auch euch ist der Heiland geboren. Heraus ins Freie und folgt mir nach, wo Schätze liegen!" Die Stimme des Mannes, der also sprach, hat plötzlich geschwiegen. Ein Scherge führt ihn gefesselt fort. Den Menschen aber da drinnen klingt seiner Rede lockendes Wort wie ferner Traum in den Sinnen. Sie senken den Kopf auf des Tisches Brett und trinken mit heiserem Lachen... Ein Jude zog aus von Nazareth, die Armen glücklich zu machen.
![]() GesichteEs raschelt gleich dem Geistern einer Fledermaus im Nachtwind, der gefallnes Laub bestattet und in den Lüften wispern totumschattet des Nebels Stimmen: Not und Haß und Graus verkünden Blut. Es kreißt der Erde höllenträchtiger Bauch, sich platzend zu befrei'n von mörderischen Wehen, zu löschen nicht nein, zu entflammen rote Glut. Spritz aus, gedunsener Schlauch, spritz aus die Tat! Die Welt verdurstet nach Geschehen... Gespenster ziehn. Ich wittre in die Zukunft schreiten Herolde mächtiger Begebenheiten.
![]() Der MahnerWo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit? Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn. Ein wirres Stimmentosen hör ich weit, weit hinter mir und kann es nicht verstehn. Ich ruf euch zu, doch euerm Echo fehlt der Laut, der rein aus meiner Stimme klingt. Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt, horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt. Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift mißtönig euer ärgerlicher Spott. Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift? Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?
![]() Der MahnerWo bleibt ihr nur, Genossen meiner Zeit? Ich schau zurück und kann euch kaum noch sehn. Ein wirres Stimmentosen hör ich weit, weit hinter mir und kann es nicht verstehn. Ich ruf euch zu, doch euerm Echo fehlt der Laut, der rein aus meiner Stimme klingt. Ich wink euch her. Doch ihr, wie unbeseelt, horcht tauben Ohrs, ob euch ein Stummer singt. Vergebne Zeichen! Aus den Zähnen pfeift mißtönig euer ärgerlicher Spott. Kommt nie die Zeit, da ihr die Zeit begreift? Tritt nie aus finstern Kirchen euer Gott?
![]() Elegie im KriegeLieder sing ich, seit ich denke, weil mein Herz empfindsam ist und den Spender der Geschenke im Genießen nicht vergißt. Doch sie haben mich vergessen, denen ich mein Lied beschert. Niemand lebt auf Erden, dessen Seele meines Sangs noch wert. Heldentaten zu vollbringen ist kein Lob in dieser Zeit: Disziplin heißt sie vollbringen, Angst gebiert die Tapferkeit. Liebe, die das Herz beseligt, zupft an keiner Leier mehr. Haß ersetzt sie. Haß befehligt. Haß ist Heil und Pflicht und Wehr. Niemals kehrt die Freude wieder und das Licht, das uns umgab. Still versinken auch die Lieder in der Menschheit Massengrab.
![]() Die PfeifeWusch ich mich schon vor einem Jahr zum letzten Mal mit Seife, so ward jetzt auch der Tabak rar. Schwarz gähnt das Maul der Pfeife. Ein kalter Ruch Erinnerungswahn entdünstet trüb dem Rachen. Die taubste Nuß, der hohlste Zahn kann nicht so traurig machen. Der Tabakbeutel schlaff und leer rutscht grämlich durch die Hände. Kein lustig blaues Wölkchen mehr belebt die kahlen Wände. Wo ist der Qualm, der mir im Raum die fade Luft gesäuert, der mich umwirkt mit süßem Traum, den Genius mir befeuert? Wo ist das braune Zauberkraut, das alle Grillen bannte? Verbraucht, verschmaucht, verraucht, verdaut dahin ins Unbekannte! ... Da liegt er nun, der Pfeifenkopf, ein Anblick zum Erbarmen, und wartet, daß ihn jemand stopf. Es hilft dir nichts, dir Armen. So ging's dem Vaterlande auch. Jetzt habt ihr die Erfahrung: Erst hochgepafft den dicken Rauch, und nachher fehlt's an Nahrung. Die Seife schmolz dahin zu Schaum; jetzt wäscht man sich mit Speichel und raucht das Laub vom Lindenbaum mit kleingeriebener Eichel. Vertan, verpulvert, aufgezehrt, was unser war alltäglich. Lieb Vaterland, jetzt heißt's: entbehrt! Der Rest ist arm und kläglich. Wie viele Wochen, Tage noch hält sich der Rest im Sacke? Schon sickert er durchs Hungerloch gleich meinem Rauchtabake... Was ward aus dir, lieb Vaterland? Des eigenen Ruhms Attrappe, ein ausgeblasenes Ei im Sand, ein Siegesaar aus Pappe. Herausgesogen bis zum Grund der letzte Lebenstropfen ein leergebrannter Pfeifenschlund und nichts mehr nachzustopfen.
![]() Gesang der jungen AnarchistenFreiheit! mahnt es aus den Grüften, die der Vorzeit Kämpfer decken. Freiheit! lockt es aus den Lüften, die der Zukunft Stürme wecken. Daß aus Ahnung Freiheit werde, haltet, Künftige, euch bereit. Reinigt die entweihte Erde helft ans Licht der neuen Zeit! Freie Menschen sollen wohnen, wo gequälte Sklaven schleichen, Menschen, die aus allen Zonen Gruß und Trunk einander reichen. Von Gesetzen nicht gebunden, ohne Herrn und ohne Staat frei nur kann die Welt gesunden, Künftige, durch eure Tat! Jugend, sammle deine Scharen, kämpfend Zukunft zu erstreiten. Wer das Leben will erfahren, lasse sich vom Tod begleiten. Künftige! Im heiligen Ahnen lechzt die Welt nach Glück und Licht. Mahnend wehn die schwarzen Fahnen: Freiheit ist der Jugend Pflicht!
![]() Der Revoluzzer(Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet) War einmal ein Revoluzzer, im Zivilstand Lampenputzer; ging im Revoluzzerschritt mit den Revoluzzern mit. Und er schrie: "Ich revolüzze!" Und die Revoluzzermütze schob er auf das linke Ohr, kam sich höchst gefährlich vor. Doch die Revoluzzer schritten mitten in der Straßen Mitten, wo er sonsten unverdrutzt alle Gaslaternen putzt. Sie vom Boden zu entfernen, rupfte man die Gaslaternen aus dem Straßenpflaster aus, zwecks des Barrikadenbaus. Aber unser Revoluzzer schrie: "Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts! Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen. Laßt die Lampen stehn, ich bitt! Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!" Doch die Revoluzzer lachten, und die Gaslaternen krachten, und der Lampenputzer schlich fort und weinte bitterlich. Dann ist er zu Haus geblieben und hat dort ein Buch geschrieben: nämlich, wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt.
![]() Bürgers AlpdruckWas sinnst du, Bürger, bleich und welk? Hält dich ein Spuk zum Narren? Nachtschlafend hörst du im Gebälk den Totenkäfer scharren. Er wühlt und bohrt, gräbt und rumort, und seine Beine tasten um Säcke und um Kasten. Horch, Bürger, horch! Der Käfer läuft. Er kratzt ans Hauptbuch eilig. Nichts, was du schwitzend aufgehäuft, ist seinen Fühlern heilig. Der Käfer rennt. Der Bürger flennt. In bangen Angstgedanken fühlt er die Erde wanken. Ja, Bürger, ja die Erde bebt. Es wackelt deine Habe. Was du geliebt, was du erstrebt, das rasselt jetzt zu Grabe. Aus Dur wird Moll, aus Haben Soll. Erst fallen die Devisen, dann fällst du selbst zu diesen. Verzweifelt schießt die Bürgerwehr das Volk zu Brei und Klumpen. Ein Toter produziert nichts mehr, und nichts langt nicht zum Pumpen. Wo kein Kredit, da kein Profit. Wo kein Profit, da enden Weltlust und Dividenden. Hörst, Bürger, du den Totenwurm? Er fährt durch Holz und Steine, und sein Geraschel weckt zum Sturm des Leichenvolks Gebeine. Ein Totentanz macht Schlußbilanz und schickt dich in die Binsen samt Kapital und Zinsen.
![]() Der GefangeneIch hab's mein Lebtag nicht gelernt, mich fremdem Zwang zu fügen. Jetzt haben sie mich einkasernt, von Heim und Weib und Werk entfernt. Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen! Ich soll? Ich muß? Doch will ich nicht nach jener Herrn Vergnügen. Ich tu nicht, was ein Fronvogt spricht. Rebellen kennen beßre Pflicht, als sich ins Joch zu fügen. Sich fügen heißt lügen! Der Staat, der mir die Freiheit nahm, der folgt, mich zu betrügen, mir in den Kerker ohne Scham. Ich soll dem Paragraphenkram mich noch in Fesseln fügen. Sich fügen heißt lügen! Stellt doch den Frevler an die Wand! So kann's euch wohl genügen. Denn eher dorre meine Hand, eh ich in Sklavenunverstand der Geißel mich sollt fügen. Sich fügen heißt lügen! Doch bricht die Kette einst entzwei, darf ich in vollen Zügen die Sonne atmen Tyrannei ! Dann ruf ich's in das Volk: Sei frei! Verlern es, dich zu fügen! Sich fügen heißt lügen!
![]() Geschonte KraftIhr Toren meint, der Kämpfer und Verächter sei müde und besiegt ins Knie gesunken, verlöscht sei seines Zornes heller Funken vom rohen Fußtritt der Gesetzespächter. Wahr ist's: er ballt die Fäuste nicht dem Wächter; speit keinen Schimpf: ihr Mörder, ihr Halunken! Und blößt nicht seinen Rücken martertrunken den Geißelhieben unter Hohngelächter. Ein stiller Mann. Und doch: ihr Toren irrt. Er braucht sich seinen Mut nicht zu befeuern, indem er laut mit seinen Ketten klirrt. Im Gegenteil: bemüht, den Klang zu dämpfen, wird ihm sein Eisen das Gelenk nicht scheuern, und stark erhält er seinen Arm zum Kämpfen.
![]() Die PflichtJüngst war der Tod bei mir zu Gast... Unsichtbar stand er und hat still und prüfend meinen Puls gefaßt, als fragt er, ob ich folgen will. Da ward mein Körper schwebend leicht, und in mir ward es licht und rein. Ich spürte: Wenn das Leben weicht, muß Seligkeit und Süße sein. Willkommner Tod, du schreckst mich nicht; in deiner Obhut ist es gut, wo Geist und Leib von aller Pflicht von Kerkerqual und Ängsten ruht ... Von aller Pflicht? Stirbt denn mit mir der Krieg, das Unrecht und die Not? Des Armen Sucht, des Reichen Gier- sind sie mit meinem Ende tot? Ich schwur den Kampf. Darf ich ihn fliehn? Noch leb ich wohlig oder hart. Kein Tod soll mich der Pflicht entziehn und meine Pflicht heißt: Gegenwart!
![]() Herbstmorgen im KerkerWenn morgens über Gras und Moor sich weißlich-trüb der Nebel bauscht, unfroher Wind mit müdem Stoß im dürren Laub des Herbstes rauscht; wenn eiterig der fahle Tau von welken Blütenresten tränt, des Äthers dichtverquollenes Grau dem neuen Tag entgegengähnt und du, gefangen Jahr um Jahr, gräbst deinen Blick in Dunst und Nichts: da wühlt die Hand dir wohl im Haar, und hinter deinen Augen sticht's. Du starrst und suchst gedankenleer nach etwas, was du einst gedacht, bis endlich, wie aus Fernen, schwer das Wissen um dein Selbst erwacht. Du musterst kalt das Eisennetz, das dich in deinen Kerker bannt; in dir erhebt sich das Gesetz, zu dem dein Wille sich ermannt: Treu sein dem Werk und treu der Pflicht, der Liebe treu, die nach dir bangt; treu sein dir selbst, ob Nacht ob Licht, dem Leben treu, das dich verlangt! ... Aus jedem Morgen wird ein Tag, und wie die Sonne einmal doch durch Dunst und Schleier drängen mag, so bleibt auch dir die Hoffnung noch. Im Nebel dort schläft Zukunftsland. Du drehst den Kopf zurück und blickst an der gekalkten Zellenwand zu deines Weibes Bild. Und nickst.
![]() Freiheit in KettenIch sah der Menschen Angstgehetz; ich hört der Sklaven Frongekeuch. Da rief ich laut: Brecht das Gesetz! Zersprengt den Staat! Habt Mut zu euch! Was gilt Gesetz?! Was gilt der Staat?! Der Mensch sei frei! Frei sei das Recht! Der freie Mensch folgt eignem Rat: Sprengt das Gesetz! Den Staat zerbrecht! Da blickten Augen kühn und klar, und viel Bedrückte liefen zu: Die Freiheit lebe! Du sprichst wahr! Von Staat und Zwang befrei uns du! Nicht ich! Ihr müßt euch selbst befrein. Zerreißt den Gurt, der euch beengt! Kein andrer darf euch Führer sein. Brecht das Gesetz! Den Staat zersprengt! Nein, du bist klug, und wir sind dumm. Führ uns zur Freiheit, die du schaust! Schon zogen sie die Rücken krumm: O sieh, schon ballt der Staat die Faust! ... Roh griff die Faust mir ins Genick des Staats: verletzt sei das Gesetz! Man stieß mich fort. Da fiel mein Blick auf Frongekeuch und Angstgehetz. Im Sklaventrott zog meine Schar und schrie mir nach: Mach dein Geschwätz, du Schwindler, an dir selber wahr! Jetzt lehrt der Staat dich das Gesetz! Ihr Toren! Schlagt mir Arm und Bein in Ketten, und im Grabverlies bleibt doch die beste Freiheit mein: die Freiheit, die ich euch verhieß. Man schnürt den Leib; man quält das Blut. Den Geist zwingt nicht Gesetz noch Staat. Frei, sie zu brechen, bleibt mein Mut und freier Mut gebiert die Tat!
![]() Appell an den GeistWir Menschen sind geschaffen, in Gesellschaft miteinander zu leben; wir sind aufeinander angewiesen, leben voneinander, beackern miteinander die Erde und verbrauchen miteinander ihren Ertrag. Man mag diese Einrichtung der Natur als Vorzug oder als Benachteiligung gegenüber fast allen anderen Tieren bewerten: die Abhängigkeit des Menschen von den Menschen besteht, und sie zwingt unsern Instinkt in soziale Empfindungen. Sozial empfinden heißt somit, sich der Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Menschen bewußt sein; sozial handeln heißt im Geiste der Gemeinschabt wirken. Dies ist der Konflikt, in den die Natur uns Menschen gestellt hat: daß die Erde von unseren Händen Arbeit fordert, um uns ihre Früchte herzugeben, und daß unser Wesen bestimmt ist von Faulheit, Genußsucht und Machthunger. Wir wollen Nahrung, Behausung und Kleidung haben, ohne uns dafür anstrengen zu müssen; wir wollen, fern von der Pein quälender Notwendigkeiten, beschaulich genießen; wir wollen Macht ausüben über unsere Mitmenschen, um sie zu zwingen, uns unsre heitere Notentrücktheit zu sichern. Den Ausweg zu finden aus dieser Diskrepanz: das ist das soziale Problem aller Zeiten. Nie hat sich eine Zeit kläglicher mit dem Problem abgefunden als unsere. Der kapitalistische Staat, das traurigste Surrogat einer sozialen Gesellschaft, hat im Namen einer geringen, durch keinerlei geistige oder menschliche Eigenschaften ausgezeichneten Minderheit die Macht über die gewaltige Mehrzahl der Mitmenschen okkupiert, indem er sie von der freien Benutzung der Arbeitsmittel ausschließt. Sein einziges Machtmittel ist Zwang; gezwungene Menschen beschützen in gedankenloser Knechtschaffenheit Faulheit und Genuß der privilegierten Machthaber. Wild, sinnlos, roh, von keinem Brudergefühl gebändigt toben die Menschen gegeneinander. Was sie als Macht erstreben, ist nüchterner Besitz an materiellen Gütern. Der Kampf aller gegen alle ist kein Ringen um den Preis der Schönheit, der inneren Freiheit, der Kultur, sondern eine groteske Balgerei um die größte Kartoffel. Auf der einen Seite Hunger, Elend, Verkommenheit; auf der anderen Seite geschmackloser Luxus, plumpe Kraftprotzerei, schamlose Ausbeutung. Und all das chaotische Getümmel verstrickt in einem stählernen Netz von Gesetzen, Verordnungen, Drohungen, die die bevorzugte Minderheit schuf, um ihrer Gewaltherrschaft das Ansehen des Rechts zu geben. Eine verlogene Ethik hat das Wissen um Wahrhaftigkeit und Rechtlichkeit vergiftet. Rabulistische Advokatenlogik hat den guten, reinen und wahren Begriff der Freiheit zum Popanz autoritärer Marktschreier verdreht. Die Verständigung der Menschen beschieht im Kauderwelsch der Politik; der Wille der Menschen beugt sich unter abstrakte Paragraphen, das Rückgrat der Menschen paßt sich verkrümmten Uniformen an. Geknebelt ist der Gedanke, das Wort und die Tat, geknebelt selbst die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Die Seele des Menschen ist dem Staate beamtet, und der Geist der Menschen schläft im Schutze der Obrigkeit. Kein Knirschen der Wut stört die Hast der Geschäfte. Der Lärm geht um den Profit; kein Stöhnen der Verzweiflung übertönt ihn. Wer aber warnend seine Stimme hebt, wer Menschen sucht, um mit ihnen zu bauen, aufzurichten das Werk der Freiheit, der Freude und des Friedens, dem gellt das Lachen ins Ohr derer, die sich nicht stören lassen wollen, derer, die Tritte empfangen und um sich treten, das Hohnlachen der Philister. Welche Ansicht der Mensch von den Dingen der Menschen haben darf, ist vom Staate abgestempelt. Einzelne Einrichtungen des Staates, besondere Maßnahmen darf er kritisieren, benörgeln, beschimpfen. Aber wehe dem, der der Fäulnis der Gesellschaft in die Tiefe leuchtet. Er ist verfemt, geächtet ausgestoßen. An Mitteln fehlt es den Philistern nicht, ihn unschädlich zu machen: sie haben ihre "öffentliche Meinung", sie haben die Presse. Wohl eifern auch die Organe der verschiedenen Parteien gegeneinander; wohl tuten auf der Jagd nach dem Profit in den Gefilden der öffentlichen Meinung die Hörner am lautesten und am schrillsten. Aber darin sind sie einig: der freie Gedanke, das freie Wort, die freie Sehnsucht darf keine Stätte haben in ihrem Revier. Ein breiter Graben zieht sich durch ihrer aller Lager; und in dem fließt der Strom, mit dem wir schwimmen müssen. Hoch über den Ebenen, in denen die Philister einander in die Seiten puffen, ragt die Burg, darin der Geist wohnt. Der Literat und der Künstler wenden den Blick degoutiert ab vom Gewimmel der Menge. Was schert es sie, wie Hinz den Kunz übers Ohr haut ! Dem Bettler, der am Weg die Drehorgel leiert, gibt man mildtätig einen Groschen und geht seines Weges. Zu ihnen hinauf, in die Domänen der Kultur darf der Dunst des Alltags nicht steigen. Die Nase zu vor den Ausdünstungen des Volks! Den Blick empor zu den reinen Höhen der Geistigkeit. Lächelnd spottet man bei den ästhetischen Gelagen über den Snob, der auf die Tribüne steigt und die Massen aufruft zum Kampf gegen Gewalt und Ausbeutung, für Recht und Freiheit. Ein Sensationshascher und Reklameheld im besten Falle ein verrannter Narr, dem es schon recht geschieht, wenn man ihn ignoriert und boykottiert. Was geht ihn die soziale Not des Volkes an?! ... Der Künstler, der sich allem, was die Umwelt angeht, so hoch überlegen dünkt, ist ein Philister. Seine bequeme Zufriedenheit hat nichts Erhabenes, sondern nur etwas Verächtliches. Er verschließt die Augen vor dem Elend, in dem er selbst bis an die Knöchel watet, und macht sich damit für die Behörden zum Erwünschtesten aller Staatsbürger. Aber gerade der Künstler hätte tausendmal Grund, wütend aufzubegehren gegen die Schändlichkeiten unseres Gesellschaftsbetriebes. Sein Werk steht und das muß so sein jenseits der Marktbewertung. Unter den Zuständen, die uns umgeben, ist es daher überflüssig, wertlos, unnütz und mithin lächerlich oder gefährlich. Der Kunstler selbst gilt sofern er nicht als Kapitalist andere Menschen für sich arbeiten läßt als Schmarotzer, als Schädling, als Verkehrsstörung. Soll ihn seine Kunst ernähren, so muß er sie dem verrotteten Geschmack des Banausentums unterordnen, und er verkommt menschlich und künstlerisch. Hat er aber die Mittel zum Leben, produziert er, wozu es ihn treiht, so bleibt sein Werk den Mitmenschen fremd, und die höchste Freude des Schaffenden, mit seiner Arbeit Menschenseelen zu erfrischen und zu erhellen, bleibt ihm versagt. Aber er ist ja Esoteriker. Ihm genügt ja die Anerkennung der wenigen, derer, die "reif" sind für seine Kunst, die gleich ihm dem Spektakel des Lehens fernestehen. Ach, Schwätzerei! Das ist eine matte, blutleere, dürftige Kunst, die nicht getränkt ist vom warmen roten Zustrom der lebendigen Wirklichkeit. Nur das sind noch immer die Zeiten der Kultur gewesen, in denen Geist und Volk eins waren, in denen aus den Werken der Kunst und des Schrifttums die Seele des Volkes leuchtete. Ihr törichte Einsame, die ihr wähnt, oben in euern Ateliers andre, freiere Luft zu atmen als die Masse auf den Plätzen der Städte! Auch ihr eßt auf euerm Kothurn das Brot, das Menschenhände gesäet, Menschenhände gebacken, Menschenhände euch gereicht haben. Tut nicht, als wäret ihr Besondere! Seid Menschen! Habt Herz! Und besinnt euch auf die Unwürdigkeit eurer Existenz! Ihr, die ihr Werke schafft, aus denen der Geist unsrer Zeit in die Zukunft flammen soll, sorgt, daß eure Werke nicht lügen! Helft Zustände schaffen, die wert sind, in herrlichen Taten der Kunst und der Dichtung gepriesen zu werden! Täuscht der Nachwelt nicht Bilder vor, die das jämmerliche Grau unsrer Tage in Gold malen! Seid keine Philister, da Ihr allen Anlaß habt, Rebellen zu sein! Paria ist der Künstler, wie der letzte der Lumpen! Wehe dem Künstler, der kein Verzweifelter ist! Wir, die wir geistige Menschen sind, wollen zusammenstehen in einer Reihe mit Vagabunden und Bettlern, mit Ausgestoßenen und Verbrechern wollen wir kämpfen gegen die Herrschaft der Unkultur! Jeder, der Opfer ist, gehört zu uns! Ob unser Leib Mangel leidet oder unsre Seele, wir müssen zum Kampfe blasen! Gerechtigkeit und Kultu das sind die Elemente der Freiheit! Die Philister der Börse und der Ateliers, zitternd werden sie der Freiheit das Feld räumen, wenn einmal der Geist sich dem Herzen verbündet!
![]() Dichter und KämpferUnrühmlich ist es, jung zu sterben. Mein Tod wär sträflicher Verrat. Ich bin der Freiheit ein Soldat und muß ihr neue Kämpfer werben. Und kann ich selbst die Schlacht nicht lenken, seh selbst nicht mehr das bunte Jahr, so soll doch meine Bundesschar im Siege meines Rufs gedenken. Drum will ich Mensch sein, um zu dichten, will wecken, die voll Sehnsucht sind, daß ich im Grab den Frieden find des Schlafes nach erfüllten Pflichten.
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